Das Vorzeigeprojekt Lyoner Quartier in Niederrad

11.11.2021 | Titelthema

Der gelungene Wandel von der monofunktionalen Nutzung zu einem gemischt-genutzten Quartier.

Anfang dieses Jahrhunderts standen immer mehr Büroflächen leer. Deutschlands Spitzenreiter mit einer Leerstandsquote von zirka 14 Prozent war im Jahr 2012 Frankfurt. Eine Besserung der Lage war nicht in Sicht. Im Gegensatz dazu wollten immer mehr Menschen in die Ballungsgebiete. Die Studentenzahlen und damit die Nachfrage nach kleinteiligerem Wohnraum stieg stetig an, andererseits stieg aber auch die Wohnfläche pro Person. Das führte bei einem damaligen Wohnungsleerstand von etwa 2,2 Prozent zu steigenden Preisen und extremem Nachfrageüberhang.

Leere Bürostadt war einmal

Die Bürostadt Niederrad war – wie der Name schon sagt – ein reiner Bürostandort. In den 1960er-Jahren als Bürostadt im Grünen erdacht, brachte sie etliche berühmte Bürohochhäuser hervor. So unter anderem die beiden trichterförmigen „Olivetti“-Häuser des damaligen Star-Architekten Egon Eiermann. Nach neuesten Planungen soll daraus der „Olivetti-Campus“ mit mehreren hundert Wohnungen, Einzelhandels- und Büroflächen werden. Später folgten die beiden blauen Türme der IG Metall oder das unter Denkmalschutz stehende Bürogebäude der Firma Nestlé. In diesen Zeiten bewegten sich täglich zirka 25 000 Pendler in und aus der Bürostadt. Ein Zeichen dafür, dass hier nur gearbeitet, aber nicht gewohnt und gelebt wurde. Es gab nur wenige gastronomische Angebote und wer von Norden mit dem Auto auf der Autobahn A5 kam, fand bis zum Juli 2013 nicht mal eine Ausfahrt vor. 2006 bewegte sich die Büro-Leerstandsrate um die 30 Prozent. Das war das Startsignal für die Stadt Frankfurt über neue Ansätze nachzudenken, wie aus der monostrukturierten Bürostadt ein gemischt-genutztes Quartier entstehen kann.

Zwei neue Bebauungspläne

Nach eingehenden Untersuchungen wurde 2007 ein städtebauliches Rahmenkonzept entwickelt, auf dessen Grundlage zwei neue Bebauungspläne entstanden sind. Dadurch wurde eine städtebauliche Neuordnung für die 88 Hektar große Kernzone der ehemaligen Bürostadt erst möglich. Es wurden die planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Umnutzung von leerstehenden Büroflächen zu Wohnraum und eine Nachverdichtung mindergenutzter Flächen geschaffen. Wichtig war auch die Versorgung der zukünftigen Anwohner mit Geschäften des täglichen Bedarfs sowie mit der geeigneten sozialen und verkehrlichen Infrastruktur.
Das nicht nur bundesweit vielbeachtete und gelobte Projekt ist sehr erfolgreich umgesetzt: Durch Umnutzung, Neubau und Nachverdichtung sind bereits über rund 2 400 Wohnungen entstanden und weitere über 2 600 sind genehmigt oder werden derzeit gebaut. Da noch etliche bebaubare Flächen vorhanden sind, ist davon auszugehen, dass noch mehr Wohnraum entstehen kann, so dass am Ende bis zu 6 000 Wohnungen für zirka 12 000 Bewohner gebaut sein werden.

Die Infrastruktur wächst und gedeiht

Die Nahversorgungsschwerpunkte liegen in der Hahn- und Goldsteinstraße. In der Goldsteinstraße gab es auch vor den Bebauungsplänen Märkte von Rewe, Aldi und Lidl. Mittlerweile wurde sowohl der dortige Lidl größer und attraktiver, als auch eine neue Apotheke angesiedelt. Eine Grundschule ist in Planung, mehrere Kitas versorgen bereits das Quartier. Mit dem neuen Quartiersbus der Linie 84 sind auch die benachbarten Wohngebiete Im Mainfeld und in Niederrad besser an diese Einkaufsmöglichkeiten angebunden. Neue Spielplätze entstehen bei allen größeren Neubauprojekten. Im ABG Projekt Lyoner Carrée in der Saonestraße 5 –27 wurde eine Kita integriert. Das im Bau befindliche Projekt Kanso in der Saonestraße 1 wird eine Kita, Gastronomie und Einzelhandel beherbergen. In der Hahnstraße 37 – 41 wurde die Nahversorgung (Supermarkt, Discounter und Drogeriemarkt)für das Gebiet nochmals verbessert.

Gemeinsam macht mehr Sinn

In der Standort-Initiative Neues Niederrad e.V. (SINN) haben sich Unternehmen und Institutionen zusammengeschlossen, um das Lyoner Quartier noch lebenswerter zu machen. „Wir verstehen uns als Stimme des Quartiers und tragen dazu bei, dass das Quartier ein Aushängeschild für ein modernes Frankfurt wird“, so David Roitman, Vorsitzender von SINN und Geschäftsführer der Argaman Projektmanagement GmbH. Im Jahr 2014 mit elf Mitgliedern gegründet, ist die Zahl mittlerweile auf rund 25 Mitglieder und Förderer gewachsen. Ziel von SINN ist es unter anderem, die Mitglieder zu vernetzen und die Einbindung und Kommunikation mit der Stadt Frankfurt zu fördern. „Die hier ansässigen Unternehmen wissen am besten, wo der Schuh drückt, was noch fehlt oder auf was eher verzichtet werden kann. Dabei ist eine gute Vernetzung mit der Politik schon deshalb sehr wichtig, weil ein Großteil der Grundstücke – außer Straßen und Sportplätzen – nicht der Stadt gehören, und es sinnvoller Abstimmungen bei der Entwicklung des Quartiers bedarf“, so Roitman.

Stadtwaldblick feierte Ende August Richtfest

Auf einem 8 000 Quadratmeter großen Grundstück entstehen in der Hahnstraße 46 bis 48 auf dem Gelände eines ehemaligen Rechenzentrums 203 Wohnungen im KfW 55-Standard. Insgesamt investiert Hessens größtes Wohnungsunternehmen, die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte /Wohnstadt (NHW), rund 69 Millionen Euro in den Neubau. „Die frühere Bürostadt erfindet sich neu. Man kann förmlich zusehen, wie sich das Lyoner Quartier zu einem lebendigen Wohngebiet entwickelt. Hier entsteht energieeffizienter, bezahlbarer Wohnraum“, so Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann.
„Die Landesregierung will den Wohnungsbau ankurbeln, aber auch den Flächenverbrauch ver-mindern. Das Projekt Stadtwaldblick ist ein gutes Beispiel dafür, dass neue Wohnungen nicht immer auf der grünen Wiese errichtet werden müssen, sondern auch auf ehemaligen Büro- oder Gewerbestandorten“, sagte Staatssekretär Jens Deutschendorf vom Hessischen Wirtschaftsministerium anlässlich des Richtfestes.

Büros spielen nach wie vor eine wichtige Rolle

Ein Beispiel dafür, dass trotz aller Umstrukturierungen das Quartier auch weiterhin beliebter Bürostandort bleibt, ist der Umzug der Deka, die demnächst nur zirka 800 Meter Luftlinie und innerhalb des Quartiers ein nagelneues Bürogebäude in der Lyoner Straße 30 bezieht.
Der von dem Frankfurter Architekturbüro holger meyer architektur geplante Neubau wird mit seiner markanten Architektur das zukünftige Entrée zum Lyoner Quartier. Das Bürogebäude ist als Doppelkammstruktur konzipiert, bei dem fünf Büroriegel quer über einem zweigeschossigen Sockel angeordnet und durch eine zentrale Achse verbunden sind. Die Glasfassaden an den Stirnseiten der fünf Büroriegel sind von breiten Natursteinbändern eingefasst und wirken wie große Monitore, die über dem Sockel zu schweben scheinen. Auf neun Obergeschossen und einem Tiefgaragengeschoss entstehen insgesamt zirka 67 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche.
Das Gebäude wird komplett durch die Deka genutzt und ist Teil eines umfassenden Zukunftskonzeptes der Deka-Gruppe für ihre Frankfurter Standorte. Insgesamt sollen in Niederrad Arbeitsplätze für bis zu 3 500 Mitarbeiter entstehen. Der Einzug ist für Ende 2021 geplant. Das Gebäude wird gemäß den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zertifiziert und mindestens den DGNB-Goldstandard erhalten. Die GEG German Estate Group GmbH hat das Objekt für einen Spezialfonds erworben, entwickelt haben das Gebäude die Frankfurter Projektentwickler Lang & Cie. Real Estate AG und Wentz & Co.

„nico“ steht für eine neue Generation intelligenter und nachhaltiger Gebäude

Von außen betrachtet wirkt „nico“ wie der Inbegriff eines modernen Bürogebäudes. Den entscheidenden Unterschied machen aber seine inneren Werte aus. Das von UBM Development entwickelte Bürohaus wird zum Pilotprojekt einer neuen Generation intelligenter Gebäude. Der Baubeginn ist für Herbst geplant. „nico steht für innovative technische Lösungen, die von unterschiedlichen Industrieunternehmen gemeinsam mit UBM entwickelt werden und einen ressourcenschonenden Betrieb sicherstellen“, so Andreas Thamm, Vorsitzender der Geschäftsführung von UBM und aufgrund seiner jahrelangen einschlägigen Expertise „Mastermind“ in Sachen Smart Office.
Konkret schreibt die Planung für das als Smart Office konzipierte „nico“ deutlich reduzierte Betriebskosten fest. Damit wird ein signifikanter Schritt zum CO₂ reduzierten Betrieb des Gebäudes erreicht. So wird auf den insgesamt 15 400 Quadratmetern Bürofläche modernste Sensorik integriert, die permanent die wichtigsten Raumparameter sowie Bewegung und Anwesenheit erfasst. All das passiert datenschutzkonform. Die derart gemessenen Daten optimieren den Einsatz der Heiz- und Kühlsegel, steuern die Beleuchtung und den außenliegenden Sonnenschutz. In den Büros ermöglicht eine Lüftungsanlage dank Wärmerückgewinnung eine gute Luftqualität bei minimalem Energieverbrauch. Durch den umfänglichen Einsatz von Photovoltaik auf dem Dach des Gebäudes, in Verbindung mit fortschrittlicher Wärmepumpentechnik, erreicht das Projekt eine sehr vorteilhafte CO₂-Bilanz in der Betriebsphase. Damit erfüllt das Gebäude die hohen Anforderungen des Standards Energieeffizienz Gebäude 55 EE (Erneuerbare Energien). Das integrierte Energie Monitoring versetzt die Mieter in die Lage, künftige Anforderungen an eine CO₂-Berichterstattung zu erfüllen.

Aus leerem Bürogebäude werden voll ausgestattete Apartments

Einem leerstehenden Bürogebäude in der Lyoner Straße wird derzeit mit dem „livinit“ genannten Apartmenthaus neues Leben eingehaucht. Das bisher zehngeschossige Gebäude wird um ein Geschoss aufgestockt und kernsaniert. Ganz oben wird sich auch die neue Dachterrasse mit Blick auf die Frankfurter Skyline befinden, die für alle Mieter zugänglich sein wird. Dank Einsatz modernster Gebäudetechnik wird durch die energetische Sanierung ein KfW-55-Standard und in Teilen sogar ein KfW-85-Standard erreicht. Das ist gut für die Umwelt und schont den Geldbeutel der Mieter aufgrund geringerer Nebenkosten. Die neun verschiedenen Apartment-Typen sind mit einer zeitgemäßen Einrichtung und Elektrogeräten voll ausgestattet und variieren von 19 bis 40 Quadratmetern. Die neuen Mieter können vielfältige Hauseinrichtungen nutzen:
Hier gibt es moderne Coworking-Räume, Wasch- und Trockenräume sowie ausreichend Fahrrad- und Tiefgaragenstellplätze, die teilweise mit E-Ladestationen versehen sind und einen so genannten Concierge-Service. Im Erdgeschoss wird es neben der Lobby eine Bäckerei und einen Imbiss geben.

NIEDERRAD

Entwicklung des Büroflächenbestands

Insbesondere ältere, leerstehende Bestandsgebäude wurden umgenutzt oder abgerissen.
Insgesamt sank der Büroflächenbestand im Teilmarkt seit 2011 um zirka 20 %. 2011 lag er bei 791.000 m², im ersten Halbjahr 2021 bei 629.000 m².

Umnutzungen von Bürogebäuden

Die Übersicht verdeutlicht den hohen Anteil an neu gewonnener Wohnfläche (rund 175.000 m²) in den vergangenen zehn Jahren.
Etwa 70 % der umgenutzten Bestandsfläche wurde abgerissen und komplett neu aufgebaut.